News & Stories vom 22.12.2013
Die Schlafwandler
Christopher Clarkes starkes Buch über den Kriegsausbruch 1914
Die Politiker Europas im Jahr 1914 nennt Christopher Clark, Historiker an der Universität Cambridge, in seinem viel diskutierten Buch: die Schlafwandler. Keiner wusste genau, was er tat. Keiner der Mächtigen strebte damals tatsächlich einen Krieg an. Aber auch keiner tat etwas, um ihn zu verhindern. Deshalb, sagt Christopher Clark, ist nicht die Frage, wer war schuld an dem fürchterlichen Krieg, das Interessante, sondern die Frage nach dem „Wie“: Wie stolperte Europa und dann die Welt in diesen Krieg hinein? Kann sich so etwas in einem Konflikt im Nahen Osten wiederholen?
Christopher Clark korrigiert die Vorstellung, dass die Rivalitäten zwischen den Hauptmächten Deutschland, Frankreich und England die hauptsächlichen Auslöser der historischen Katastrophe waren. Die wichtigsten Ursachen entstanden in der Peripherie, nicht im Zentrum. Das Zündeln begann mit Italiens Angriffen auf den Besitzstand des Osmanischen Reiches. Das ermutigte die Balkankriege. Das Minengelände lag im Südosten, wo mit einem Königsmord im Jahr 1902 sich die „Schwarze Hand“ bildete, die das Attentat von Sarajewo organisierte. Dem verwirrenden Knäuel von Problemen und Absichten war keine der Regierungen Europas gewachsen. Das Erschreckendste und Spannendste an der Darstellung von Christopher Clark: der Schritt in den Abgrund erfolgte nicht auf dem Höhepunkt einer Krise (die gab es in den Vorjahren), sondern in einer Phase der Entspannung. Weil keiner glaubte, dass es ernst wird, wurde es ernst.